BGer 4A_706/2016: Keine Kumulation von Kündigungssperrfristen bei psychischer Erkrankung


Das Bundesgericht hatte sich in einem Entscheid vom 04.08.2017 (4A_706/2016), publiziert am 05.10.2017, mit der Frage zu befassen, inwieweit verschiedene Krankheiten, welche zu einer fort­dauernden Arbeitsunfähigkeit führen, jeweils eine neue Sperrfrist nach Art. 336c Abs. 1 Ziff. b OR aus­lösen.

Sachverhalt:

Der Arbeitnehmer war seit dem 1. Oktober 2010 bei der Arbeitgeberin (Beschwerdeführerin) angestellt. Vom 11.06.2013 bis 15.01.2014 wurde der Arbeitnehmer aufgrund einer koronaren Herzkrankheit vollkommen arbeitsunfähig. Eine weitere Arbeitsunfähigkeit vom 16.01.2014 bis 05.05.2014 ergab sich nach einem operierten Nierentumor. Aus psychischen Gründen – Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion – war der Arbeitnehmer dann vom 06.05.2014 bis 31.10.2014 ebenfalls zu 100% arbeitsunfähig. Die Arbeitgeberin kündigte dem Arbeitnehmer mit Schreiben vom 26.06.2014 auf den 31.08.2014. Diese Kündigung wurde vom Arbeitnehmer angefochten. Nach erfolgloser Schlichtung kündigte die Arbeitgeberin sicherheitshalber ein zweites Mal mittels Schreibens vom 21.01.2015 auf den 31. März 2015.

Vorinstanzen:

Der Arbeitnehmer erhob Klage beim Zivilgericht Littoral et du Val-de-Travers, welches entschied, dass die 90-tägige Sperrfrist i.S.v. Art. 336c Abs. 1 Ziff. b OR verstrichen sei, weil die psychischen Probleme des Angestellten gemäss ärztlichem Bericht des behandelten Arztes bereits vor dem 06.05.2014 bestanden hätten und folglich keine neue Ursache für die Arbeitsunfähigkeit ab dem 06.05.2014 gegeben sei. Deshalb wurde die Kündigung vom 26.06.2014 als gültig erachtet.

Das Kantonsgericht Neuenburg hob diesen erstinstanzlichen Entscheid auf und bestätigte die nichtige Kündigung. Es bejahte den Beginn der 90-tägigen Sperrfrist gemäss Art. 336c Abs. 1 Ziff. b OR ab dem 6. Mai 2014, weil die psychischen Beschwerden als neue Ursache zu erachten seien und demzufolge eine neue Arbeitsunfähigkeit des Angestellten vorläge.

Begründung des Bundesgerichts:

Dieses zweitinstanzliche Urteil zog die Arbeitgeberin an das Bundesgericht weiter. Dieses überprüfte die Ursache(n) der verschiedenen Krankheiten, welche zur fortdauernden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt hatten und inwieweit diese Krankheiten einen Einfluss aufeinander ausübten. Das Bundesgericht stellte fest, dass sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung lange und schlimme Erkrankungen belastend auf das soziale Umfeld des Patienten auswirken können und die Angst, die Arbeitsstelle zu verlieren, sowie die miteinhergehenden finanziellen Probleme zu psychischen Erkrankungen führen können. Es sah die Hauptursache der psychischen Erkrankungen des Arbeitnehmers in seinen Vorerkrankungen (Herzkrankheit und Nierentumor), sodass keine neue Sperrfrist ausgelöst worden sei (E. 3.5).

Der vom Bundesgericht zu würdigende Bericht des behandelnden Hausarztes des Arbeitnehmers, wonach sich die Gründe der Arbeitsunfähigkeit vermischen würden und keine scharfe Trennlinie gezogen werden könne (E. 3.1 und 3.5), wurde denn dem Arbeitnehmer auch zum „Verhängnis“. Bemerkenswerterweise steht der hausärztlichen Einschätzung ein Fachbericht des Chef­arztes einer psycha­trischen Fachklinik entgegen, wonach ein Zu­sammenhang zwischen den physischen Erkrankungen und der ps­ychischen Erkrankung gerade nicht gesehen, sondern der Grund der psychischen Er­krankung in verschiedenen sozialen Stressfaktoren verortet wurde (E. 3.5).