BGer 4A_115/2017: Urheberschutz für ‚HfG-Barhocker‘ von Max Bill


Das Schweizerische Bundesgericht hatte in einem Beschwerdeverfahren (Aktenzeichen: 4A_115/2017) über den Urheberschutz des ‚HfG-Barhockers‘ von Max Bill, einem ursprünglich für die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm geschaffenen Barhocker, zu entscheiden. Mit Urteil vom 12. Juli 2017 (Aktenzeichen: 4A_115/2017)  sprach sie dem Barhocker Urheberschutz als Werk der angewandten Kunst im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit. f. Urheberrechtsgesetz (URG) zu.

Was war passiert?

Eine Stiftung, die die Wahrung der Werke von Max Bill bezweckt, hatte einer Möbelfabrik im Rahmen eines Lizenzvertrages das ausschliessliche Recht zur Herstellung und zum Vertrieb bestimmter von Max Bill entworfener Möbel eingeräumt. Dieser Lizenzvertrag wurde seitens der Stiftung zunächst ordentlich und dann fristlos im Jahr 2011 gekündigt. Hiergegen opponierte die Möbelfabrik und vertrat die Meinung, an den streitgegenständlichen Möbeln (u.a. der HfG-Barhocker) bestünden keine Schutzrechte. In der Folge bot die Möbelfabrik den streitgegenständlichen HfG-Barhocker weiterhin auf ihrer Webseite an. Die Stiftung schloss mit einer anderen Möbelmanufaktur einen neuen exklusiven Lizenzvertrag zur Re-Edition der gesamten „Max-Bill-Kollektion“.

Die Stiftung erhob vor dem Handelsgericht St. Gallen Klage und nahm die Möbelfabrik u.a. auf Unterlassung in Anspruch. Dieses verwehrte mit Urteil vom 30. November 2016 dem HfG-Barhocker den urheberrechtlichen Schutz im Wesentlichen mit der Begründung, die Formgebung des Hockers bestehe aus vorbekannten Elementen, die auf das absolute Minimum reduziert seien, so dass für weitere formale Ausgestaltungen kein Spielraum bleibe bzw. sich die Formgebung künstlerisch gar nicht mehr individualisieren lasse (vgl. Erwägung 2.7 des Bundesgerichts).

Das Bundesgericht führte zur Begründung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Barhockers u.a. aus:

2.1. (…) Geschützt ist, was sich als individuelle oder originelle Schöpfung von den tatsächlichen oder natürlichen Vorbedingungen im Rahmen der Zweckbestimmung abhebt (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331; 117 II 466 E. 2a). Diktiert allerdings der Gebrauchszweck die Gestaltung durch vorbekannte Formen derart, dass für individuelle oder originelle Merkmale praktisch kein Raum bleibt, liegt ein rein handwerkliches Erzeugnis vor, das vom Schutz des Urheberrechts auszunehmen ist (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331; 117 II 466 E. 2a; 113 II 190 E. I.2a S. 197; je mit Hinweisen). Dabei werden nach der Rechtsprechung bei Werken der angewandten Kunst verhältnismässig hohe Anforderungen an die Individualität gestellt; im Zweifel ist danach auf eine rein handwerkliche Leistung zu erkennen (BGE 113 II 190 E. I.2a S. 197 mit Hinweis; bestätigt im Urteil 4A_78/2011 vom 2. Mai 2011 E. 2.4).“

„2.2. Für Sitzmöbel besteht eine Vielzahl möglicher Formen, weshalb sich nicht sagen lässt, ihre Gestaltung sei weitgehend oder gar ausschliesslich durch deren Zweck vorgegeben. Es ist denn auch in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass sie urheberrechtlichen Schutz geniessen können (BGE 113 II 190 E. I.2a S. 197 mit Hinweisen). Erforderlich und hinreichend ist für diesen Schutz, dass über eine rein handwerkliche oder industrielle Arbeit hinaus eine individuelle künstlerische Gestaltung erkennbar ist, die sich von den vorbekannten Formen deutlich unterscheidet, was namentlich zutrifft, wenn sich das Möbelstück von bisherigen Stilrichtungen klar abhebt und eine neue Richtung einleitet oder wesentlich mitbestimmt (BGE 113 II 190 E. I.2a S. 197; vgl. auch BGE 134 III 547 E. 2 S. 549). Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall unter Bezugnahme auf das von ihr eingeholte Gutachten verneint, dass der HfG-Barhocker einen Stil wesentlich mitgeprägt habe. Der Hocker zeichnet sich nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil durch seine reduzierte Formgebung aus, wobei das Konzept des Barhockers definiert wird als Verbindung einer runden Sitzfläche mit leicht schräg gestellten Beinen und einem Ring, der die Konstruktion stabilisiert und gleichzeitig als Fussstütze dient. Die Vorinstanz stellt fest, dass dieses Konzept zum Zeitpunkt der Entwicklung des HfG-Barhockers bekannt war und führt namentlich vier ältere Modelle an, in denen nahezu alle Bestandeselemente des HfG-Barhockers auf die eine oder andere Weise enthalten waren, wobei unerheblich sei, ob die Hocker drei- oder vierbeinig ausgestaltet seien, da die gemeinsame Urform mit ihren schräg in das Sitzbrett eingepassten Beinstollen weitere Varianten gleichsam vorgebe. Die Vorinstanz fügt zudem an, dass in etwa der gleichen Zeit ein Barhocker von Robin Day hergestellt wurde, dessen einziger Unterschied darin bestehe, dass die Stahlrohre unterhalb der Sitzfläche mittig zusammenlaufen, während sie beim HfG-Barhocker etwas auf Distanz gesetzt sind.“

„2.4. Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, die Vorinstanz habe eine unzulässige „mosaikartige“ Betrachtung angewandt, indem sie den vorbekannten Formenschatz in einzelne Elemente zergliedert und diese miteinander verglichen habe. Für den urheberrechtlichen Schutz entscheidend ist der künstlerische Eindruck der Formgebung, der nicht die notwendige oder gar ausschliessliche Folge eines einzelnen Bauelementes ist, sondern durch die Gestaltung, Linienführung und das Zusammenwirken aller Elemente bestimmt wird. Dabei kann zwar die Gestaltung eines Elementes dominieren und so hervorstechen, dass es prägend wirkt. Aber der Vergleich einzelner Elemente ist nicht entscheidend (vgl. BGE 113 II 190 E. I.2b S. 198). Nicht entscheidend ist jedenfalls, dass einzelne Elemente vorbekannt sind.“

„2.8.1. Die Vorinstanz hat den Gebrauchszweck, in dessen Rahmen vorbekannte Formen der Gestaltung zu berücksichtigen sind, zutreffend als Barhocker definiert. Die praktische Anwendung besteht in der Möglichkeit, die an einer Bar servierten Getränke und Speisen sitzend zu konsumieren; die Sitzflächen müssen daher auf einer Höhe angebracht sein, die der sitzenden Person die bequeme Erreichbarkeit der Angebote auf der Bar gewährleistet. Da Bars regelmässig für Konsumationen durch stehende Personen eingerichtet sind, sind sie etwa eine Treppenstufe höher als die üblichen Tische; entsprechend müssen die Sitzflächen um etwa eine Treppenstufe höher liegen als diejenigen für die Konsumation an Tischen. Um die Sitzfläche zu erreichen, muss eine Aufstiegsmöglichkeit bestehen. Der Gebrauchsgegenstand Barhocker ist daher so konzipiert, dass eine Sitzfläche auf Trägern in einer Höhe angebracht ist, die durch einen Aufstieg in Höhe einer Stufe erreicht werden kann; dabei hat sich herausgebildet, die Aufstiegsmöglichkeit durch eine horizontale Leiste ausserhalb oder innerhalb der Träger zu gewährleisten: diese dient gleichzeitig der Stabilisierung der Träger und erlaubt ausserdem der sitzenden Person, die Füsse darauf zu stellen.

2.8.2. Die Elemente, welche einen Barhocker seiner Funktion nach charakterisieren, bestehen somit aus Trägern, welche eine Sitzgelegenheit in Höhe von 60-80 cm tragen und um die auf einer Höhe von ca. 20 cm ab Boden eine horizontale Leiste angebracht ist. Der Spielraum für die Gestaltung von Hockern, welche diese Elemente aufweisen, ist nicht sehr eingeschränkt, wie schon die im angefochtenen Urteil als vorbekannt angeführten Formen zeigen (vgl. vorn B.b). Die Träger müssen nicht – in unterschiedlichem Winkel – abgeschrägt sein, sondern können auch völlig senkrecht ausgestaltet sein (in diesem Fall aus Gründen der Stabilität wohl am äusseren Rand der Sitzfläche). Die Sitzfläche ihrerseits kann unterschiedlich geformt sein (z.B. Rechtecke, runde oder ovale Formen, mit oder ohne Lehne). Die Leisten können eckig oder rund, innerhalb oder ausserhalb der Träger montiert sein. Ausserdem kann Materialwahl oder Farbgebung den Gesamteindruck der Gestaltung eines Barhockers wesentlich verändern.“

 

Fazit des Bundesgerichts:

 

„2.8.5. Durch die „minimalistische“ Ausgestaltung der für einen Barhocker notwendigen Elemente und ihre aufeinander abgestimmte Proportionierung erweckt der HfG-Barhocker einen Gesamteindruck, der ihn als solchen individualisiert und von den vorbekannten Modellen deutlich abhebt. Der urheberrechtliche Schutz kann diesem Werk angewandter Kunst daher nicht versagt werden. (…)“

 

Quellen: